Sehr geehrter Herr Roth,

vielen Dank für Ihre Initiative, Strafanträge auf den Weg zu bringen. Ich habe mir den Strafantrag „ohne Anwalt“ heruntergeladen und dazu zwei Vorschläge (A) und (B) einzubringen:

(B) In Ihrem Strafantrag greifen Sie nicht den Inzidenzwert an, sondern nur den PCR-Test. Auch vielen Politikern ist die Manipulierbarkeit des Inzidenzwertes nicht bekannt.

 Beispielsweise äußert sich in einem Interview in der FAZ vom 21.Febuar ´21 die Ministerpräsidentin Malu Dreyer wie folgt:
„Auch Herr Laschet kennt das Infektionsschutzgesetz und weiß, dass keine neuen Grenzwerte erfunden wurden; 50 und 35, die stehen im Gesetz. Ich war überrascht von seinen Worten.“

Herr Ministerpräsident Laschet hat aber recht; die neue 50 ist sehr viel restriktiver als die alte 50 aus dem Jahr 2020, weil das Testaufkommen sich enorm vergrößert hat.

Ich möchte das in dieser Email ausführlich begründen.

Zunächst muss sorgfältig die Frage geklärt werden:

Was ist und was sagt uns der Inzidenzwert?

Bekanntlich werden von Laboren aus ganz Deutschland die Ergebnisse der PCR-Tests ans Robert-Koch Institut (RKI) gemeldet. Das RKI berechnet daraus unter anderem die Gesamtzahl Z aller positiv getesteten Personen („Neuinfektionen“) innerhalb der letzten sieben Tage. Diese Zahl, per Dreisatz umgerechnet auf je 100.000 Einwohner der Bundesrepublik, wird Inzidenz I genannt, also:  I = Z / 83.200.000 * 100.000.
Man erhält den Wert für I auch einfacher, wenn man gleich kürzt, also Z durch 832 teilt. Oder anders gedacht:  Z = 832 * I,  weil Deutschland (ca.) 832 mal 100.000 Einwohner hat, nämlich 83,2 Millionen. Eine Inzidenz von 70 bedeutet also  832 * 70 = 58240  positive Testergebnisse bundesweit in den letzten sieben Tagen.
Die Inzidenz ist – ebenso wie die Zahl Z der innerhalb von sieben Tagen positiv getesteten Personen – eine absolute Zahl, nicht etwa ein Infektionsrisiko o.ä.
Hätte man beispielsweise in der betrachteten Woche nur halb soviele Tests durchführen können, so wäre die Anzahl der positiven Testergebnisse und damit auch die Inzidenz nur ca. halb so groß gewesen!


Vergleichbar mit den Inzidenz-Zahlen aus anderen Wochen ist der Inzidenzwert also nur, wenn 1) die Anzahl der PCR-Tests über die Wochen etwa gleich bleibt, sowie 2) die Teststrategie dieselbe bleibt.
Die Teststrategie ist beim PCR- Test eine gezielte, d.h. es werden vor allem Personen mit den einschlägigen Symptomen und ihre Kontaktpersonen, sowie Risikogruppen getestet. Der Test folgt also nicht einer repräsentativen Auswahl wie ein sog. „Massentest“.

Zur besseren Einschätzung des Infektionsgeschehens ist es sicherlich sinnvoll, die Anzahl der positiven Testungen relativ zur Anzahl aller in der betrachteten Woche insgesamt durchgeführten PCR-Tests anzugeben, die sognannte Positivquote. Diese Quote (in %) ermittelt das RKI ebenfalls. In der 45. Kalenderwoche (KW), also in der ersten Novemberwoche 2020, wurden laut Tabelle des RKI rund 1,6 Millionen PCR-Tests bundesweit durchgeführt, davon waren 125.000 positiv, das sind 7,81%.  [1].

Aber danach änderte das RKI seine Teststrategie!  Alle Kalenderwochen ab der 46.* sind in der Tabelle mit einem * versehen. Das bedeutet: „mit neuer Teststrategie“.
Ab diesem Zeitpunkt kommen außer den PCR-Tests noch zunehmend Antigen-Schnelltests zum Einsatz. Sie werden in immer größerem Umfang als Vortests eingesetzt. Wer ein positives Ergebnis im Schnelltest hat, muss zur Bestätigung desselben einen PCR-Test machen, denn die Diagnose mit dem Schnelltest ist etwas unzuverlässiger als der PCR-Test. In den meisten Fällen wird aber dieser PCR-Nachtest ebenfalls positiv ausgehen [2]. Und nur dieses positive Ergebnis wird dem RKI übermittelt. Die große Anzahl der Schnelltests, die ein negatives Ergebnis lieferten, wird weder bekanntgegeben, noch in die Statistik eingerechnet! (derzeit weit mehr als eine Million Tests pro Woche). Das RKI berechnet die Positivrate weiterhin nur in Bezug auf die Gesamtzahl der durchgeführtenPCR-Tests.
Wir haben damit denselben Effekt wie bei der Verbrechersuche: Bei vorhergehendem Einsatz von verdeckten Ermittlern steigt die Erfolgsquote. Bei etwa gleichbleibender Anzahl von PCR-Tests erhält man durch die Vorauswahl per Schnelltest prinzipiell mehr positive Testergebnisse, also auch höhere Inzidenzen, als bei der alten Testmethode.

Der Mathematikprofessor Hans-Jürgen Bandelt von der Uni Hamburg hat diese Zusammenhänge vor kurzem transparent gemacht und mit konkretem statistischem Material und Berechnungen belegt. [3]

Das RKI schreibt selbst, dass die neuen Positivquoten ab der 46.* Kalenderwoche nicht mehr mit den Positivquoten der Vorwochen vergleichbar sind. [1]Trotzdem wird von der Politik Vergleichbarkeit suggeriert: Der nochmals verlängerte Lockdown hat das Ziel, die Inzidenz unter den alten Wert von 50 zu senken, nein, sogar unter 35!
Das wird dank der neuen Teststrategie kaum gelingen, wenn künftig noch zusätzlich Schnelltests massenweise eingesetzt werden.

 Prof. Bandelt zieht in [3] das Fazit
„Mit dem versteckten Einsatz von Antigenschnelltests in Deutschland werden seit November die absoluten Zahlen der wöchentlichen PCR-Positivtestungen („Neuinfektionen“) und damit auch die Inzidenzwerte, sowie die PCR-Positivenraten in immer stärker werdendem Maße frisiert. Denn faktisch wird dabei ein wachsender Anteil der Bevölkerung vorgetestet, um das Auftreten potentiell PCR-Positiver in der wöchentlichen PCR-Stichprobe wie in einem Sud zu verdichten. Auf diese Weise kann der Lockdown, den man an den willkürlichen wie unsinnigen Inzidenzwert 50 hängt, endlos werden, ohne das das wirkliche Infektionsgeschehen noch erhöht wäre.“

Es wäre  also klug, diese Manipulation der Inzidenzwerte mit aufzunehmen in die Anklagepunkte!!
In der Schweiz ist dieser Schwindel schon aufgeflogen [8], nach der genannten Veröffentlichung von Prof. Bandelt.

Abschließend eine weitere Information:

Wie sich durch Erfahrung  gezeigt hat, verhindert der bundesweite Dauer-Lockdown nicht das Auftreten von Hotspots. Er muss schon allein deswegen dringend durch lokale Maßnahmen, die evidenzbasiert sind, ersetzt werden. In diesem Zusammenhang ist es überaus bemerkenswert, ja sogar kontraproduktiv, dass die Bundesregierung ein Gesetz plant zur Verlängerung der Pandemiemaßnahmen bis vorläufig März 2022 (kein Tippfehler): Die Vorlage trägt die Bezeichnung Gesetzentwurf (CDSU,SPD) BT-Drucksache 19/ 26545, siehe [5]. Berichtet wird darüber in [6] und [7].

Mit besorgten Grüßen,
Dr. math. A.B. (Name der Redaktion bekannt)

Weblinks:

[1]   RKI:  Epidemiologisches Bulletin 49/2020, Seite 14

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/49_20.html

[2]   Der PCR-Test seinerseits ist zum Nachweis einer Erkrankung nur bedingt geeignet:

https://www.who.int/news/item/20-01-2021-who-information-notice-for-ivd-users-2020-05

Prof. Dr. Hans Jürgen Bandelt:
[3]   Die neue Teststrategie für den Dauerlockdown – eine mathematische Analyse und Bewertung – 6. Februar 2021
https://tkp.at/2021/02/06/die-neue-teststrategie-fuer-den-dauerlockdown-eine-mathematische-analyse-und-bewertung/

[4]   Interview: Mit Schnelltests zum Dauerlockdown? Wie sich mit „manipulierten Zahlen“ die Kurve hochhalten lässt _17 Feb. 2021 
https://de.rt.com/inland/113265-mit-schnelltests-zum-dauerlockdown-interview/

[5]   Gesetzentwurf (CDSU,SPD) BT-Drucksache 19/ 26545:
https://2020news.de/wp-content/uploads/2021/02/Bundestagsdrucksache-Drucksache-1926545.pdf

[6]   https://reitschuster.de/post/pandemische-lage-verlaengerung-jetzt-erkenntnisse-in-neun-monaten/

[7]   Regierung will Massnahmenregime ohne wissenschaftliche Basis bis zunächst  März 2022 verlängern:
https://2020news.de/regierung-will-massnahmenregime-ohne-wissenschaftliche-basis-bis-zunaechst-maerz-2022-verlaengern/

[8]    https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-bag-treibt-positivitatsrate-kunstlich-in-die-hohe-65872655